Spinale Muskelatrophie
MIT EINER SELTENEN KRANKHEIT LEBEN
Spinale Muskelatrophie
Yuliya, ein fünf Jahre altes prächtiges Mädchen mit blauen Augen, war bis zu ihrem ersten Geburtstag ein normales Kind. „Als sie dann 1 Jahr alt war, bemerkten wir, dass sie Schwierigkeiten beim Auftehen hat. Und sie lief ganz merkwürdig“, erinnert sich Vitaliy Matyushenko, ihr Vater. Nichts gab es, was ihn und seine Familie auf die schwere Diagnose hätte vorbereiten können, die ihnen nach wenigen Monaten mitgeteilt wurde: Yuliya ist von Spinaler Muskelatrophie (SMA) Typ II betroffen. Unter etwa 6.000 Kindern lebt eines mit dieser seltenen Krankheit. „Die wenigen Monate bis zur Diagnose waren für unsere Familie eine schwere Zeit. Wir fuhren zu allen Krankenhäusern und medizinischen Zentren, die wir kannten, hörten viele falsche Schlussfolgerungen, und ich fühle mich noch immer schlecht, wenn ich an das Leid denke, das Yuliya mit all den Tests erdulden musste“, sagt Vitaly.
Die SMA ist eine autosomal-rezessiv vererbte Krankheit, bei der die Nervenzellen im Rückenmark zugrunde gehen, die die willkürlichen Muskelbewegungen steuern. Beeinträchtigt sind Krabbeln, Laufen, Kontrolle von Kopf und Hals und sogar das Schlucken. Bei Menschen mit SMA fehlt das SMN1-Gen (survival motor neuron 1) oder ist mutiert. Dieses Gen kodiert für ein Eiweiß, das im Zellkern aktiv und für das Überleben der Motorneurone unentbehrlich ist. Die SMA wird heute vor allem durch Genanalyse in einer Blutprobe diagnostiziert. Beide Eltern sind Träger der Anlage für das abnorme Gen, selbst aber nicht krank. Wenn beide Eltern die Anlage tragen, erben im Mittel 25% der Kinder die Krankheit.
Die Familie Matyushenko lebt in Kharkiv in der Ukraine. Vitaliy ist überzeugt, dass noch viel getan werden muss, um der Bevölkerung die seltenen Krankheiten bewusst zu machen, und er gibt zu, dass auch er und seine Frau Svitlana noch von keiner einzigen seltenen Krankheit gehört hatten, bevor ihnen Yuliyas Diagnose einer SMA mitgeteilt wurde. “Nachdem wir diese Diagnose erfahren hatten, wollten wir erst alles aufgeben, unser Leben schien zerstört und keine Hoffnung war uns geblieben. Aber nach einigen Tagen bewegten wir uns wieder und schöpften neue Hoffnung, weil wir tief in unserem Inneren spürten, dass dies nicht das Ende sein kann. Jetzt hatten wir den Wunsch, mehr über die Krankheit zu erfahren.“
Vitaliy ist der Präsident von Kharkivs gemeinnützigem Verein ‚Kinder mit Spinaler Muskelatrophied‘ (CSMA), der in der ukrainischen Bevölkerung aufklärend wirkt. Sein wichtigstes Ziel: „Zeit für Yuliya und alle Kinder mit SMA in der Ukraine gewinnen.“ CSMA ist Partner des internationalen Netzwerkes ‚Familien mit Spinaler Muskelatrophied‘ (FSMA) und Vollmitglied von Eurordis.
Es ist sehr wichtig, die Kinder mit SMA zu stimulieren, damit sie beweglicher werden. Neben medizinischen Prozeduren wie Massage und Hydrotherapie, die besonders hilfreich ist, weil der Auftrieb des Wassers Bewegungen von Armen und Beinen unterstützt, die sonst nicht möglich sind, gehört auch Vergnügen zum Programm – Yuliya schwimmt mit Delphinen. Die SMA beeinträchtigt nicht die Sinneswahrnehmungen und nicht die Intelligenz. Immer wieder fällt auf, dass Patienten mit SMA ungewöhnlich munter und gesellig sind. Vitaliy bewundert seine Frau Svitlana, die ihre Arbeit aufgab, damit sie für Yuliya und ihren zweijährigen Sohn Danylo sorgen kann. „Sie ist eine wunderbare Frau, sie versorgt beide Kinder, macht die Hausarbeiten und richtet die Wohnung gemütlich ein, mit allen Annehmlichkeiten, die Yuliya benötigt, und alles ganz ohne professionelle Unterstützung!“
Jetzt mit fünf kann Yuliya umherkrabbeln. Dabei benutzt sie ihre Armmuskeln oder, wenn nötig, ihren Rollstuhl. Vitaliy hat eine Serie von Videos über SMA in der Ukraine und Clips über das Leben mit SMA bei YouTube ins Netz gestellt. Für 2008 erwartet Vitaliy die Ergebnisse von klinischen Studien über SMA, die von Treat-NMD geleitet werden. Grundlage der Studien sind Forschungsergebnisse über Substanzen, die beim Menschen den Spiegel des SMN-Proteins erhöhen und die von der italienischen Fondazione Telethon koordiniert werden. „Obwohl immer noch jedes Jahr Babies mit SMA Typ I sterben, hoffe ich dennoch, dass die Zukunft Hilfe bringt“, bemerkt Vitaliy zum Schluss.
Dieser Beitrag erschien in der Märzausgabe 2008 unseres Rundbriefs.
Autor: Nathacha Appanah
Übersetzer: Ulrich Langenbeck
Fotos: Alle Fotos © Matyushenko