Leben mit einer seltenen Krankheit: Das Okamoto-Syndrom
Schwangerschaft und Geburt
Meine erste Tochter Marilena (zusammengesetzt aus Maria und Eleni) wurde 2004 ein paar Wochen vor den Olympischen Spielen aufgrund von Oligohydramnie zu früh geboren (32. Schwangerschaftswoche). Sie hatte von Anfang an starke Atemschwierigkeiten. Im Alter von zwei Jahren wurde sie mit dem Okamoto-Syndrom diagnostiziert. Bis zu diesem Zeitpunkt kämpften wir mit „dem Unbekannten“ …
Während der Schwangerschaft zeigte eine Amniozentese (Fruchtwasserpunktion) einen normalen 46XX-Karyotyp. Mein Mann und ich wussten nichts über ihr Syndrom und waren schockiert, als sie geboren wurde. Nach dreimonatigem Krankenhausaufenthalt brachten wir sie nach Hause. Ich fühlte nicht, dass sie meine Tochter war. Ich fühlte mich nicht wie ihre Mutti. Ich fühlte mich, als ob ich sie adoptiert hätte. Es war ein sehr merkwürdiges Gefühl! Aber ich liebte sie von Anfang an sehr!
Bis heute ist Marilena weltweit der sechste registrierte Fall, von denen zwei gestorben sind.
Das Okamoto-Syndrom
Marilena wurde mit vielen kongenitalen Anomalien geboren, einschließlich Gaumenspalte, Ureterabgangsstenose mit Hydronephrose, sowie Herzanomalien zusammen mit allgemeiner Hypotonie, schweren Entwicklungsverzögerungen und Wachstumsstörungen. Die Auffälligkeiten im Gesicht umfassen Mikrozephalie (extreme Kleinheit des Kopfes), Mittelgesichtshypoplasie (unvollkommene Ausbildung der Gesichtsmitte), hervorstehende Augen, Epikanthus (Hautfalte am inneren Rand des oberen Augenlids), lange Wimpern, Synophrys (Zusammenwachsen der Augenbrauen), tiefsitzende Ohren mit langen Ohrläppchen, einen flachen Nasenrücken mit kurzer Stupsnase, einen offen stehenden Mund, eine volle Unterlippe und nach unten gezogene Mundwinkel. Weiterhin hat sie eine Fixierung des Endfadens des Rückenmarks (Filum terminale) und die Hirschsprung-Krankheit.
Im Juni 2014 wurde Marilena zehn Jahre alt. Sie hat bereits zehn Operationen; an ihren Nieren, ihrem Darm, an der unteren Wirbelsäule, an der Gaumenspalte, und Dutzende Krankenhausaufenthalte hinter sich. Sie kann ohne Hilfe nicht gehen. Aufgrund der Hypotonie kann sie weder kauen noch reden. Sie zeigt auch einige autistische Eigenschaften, ohne autistisch zu sein. Sie kann einige Zweisilbenworte sagen, aber sie kann nicht schreiben. Wir kommunizieren jedoch auf unsere eigene Art.
Aktivitäten für Marilena
Sie besucht eine der besten Spezialschulen in Griechenland, wo sie Sprach-, Physio-, Wasser-, Beschäftigungs-, und Musiktherapie erhält sowie an Bildungsprogrammen teilnimmt. Jedoch reicht dies nicht aus, da jede Therapie nur ein- bis zweimal die Woche stattfindet. Deshalb erhält sie zusätzlich Sprach-, Physio- und Beschäftigungstherapie zu Hause. Seit 18 Monaten erhält sie auch zweimal wöchentlich Reittherapie. Das macht ihr sehr viel Spaß und hilft ihr, Zuversicht zu gewinnen und ihre motorischen Fähigkeiten zu verbessern.
Marilena zu Hause.
Marilena hat eine achtjährige Schwester, Evelina, und einen kleinen Bruder, der ein Jahr ist. Sie lieben einander sehr und spielen gerne miteinander, ohne dass es zu Eifersucht oder Kämpfen kommt. Marilena hat zwei kleine Shih-Tzu-Hunde, die sie sehr lieb hat, und mit denen sie viel spielt. Wir sehen sie als therapeutische Hunde an, denn jedes Mal, wenn ihr etwas weh tut, nimmt sie einen der Hunde auf den Schoss, kuschelt mit ihm und hört magisch auf zu weinen.
Marilena ist niedlich, ruhig und glücklich. Sie ist sehr lustig und bringt andere gerne zum Lachen. Sie hat eine bewundernswerte Stärke und liebt es, Neues zu lernen. Sie kann sehr bockig werden, wenn sie etwas machen soll, wozu sie nicht in der Lage ist. Am schlimmsten sind die Tage, an denen sie krankt ist. Sie hat aufgrund ihrer Nierenprobleme häufig Harninfektionen mit viel Schmerzen und hohem Fieber. Das sind ihre schlimmsten Tage.
Manchmal können wir Marilena nicht verstehen. Dies ist ein großes Problem, denn es beunruhigt sie und sie fängt an, zu schreien und zu weinen (ruft nach „Hilfe“).
In Griechenland Bewusstsein schaffen
Marilenas Syndrom ist so selten, dass es keiner in Griechenland kannte. Nach Jahren persönlicher Anstrengung, wie das Versenden von Briefen an die griechische Regierung und diverse Ministerien, Fernsehauftritte und Aufklärung mit Hilfe von sozialen Medien, gelang es mir letztendlich, dass das Okamoto-Syndrom in Griechenlandland anerkannt und in die Liste für seltene Krankheiten aufgenommen wurde. Leider gibt es in Griechenland fast gar keine Hilfe. Familien mit behinderten Kindern oder Erwachsenen haben große Schwierigkeiten und viele Ausgaben, um ein gutes Leben zu führen.
Die Regierung scheint nicht zu verstehen, wie teuer die Versorgung und die Betreuung einer behinderten Person sind. Jedes Mal wenn ich mit Beamten zu tun hatte, stieß ich auf viele Probleme und fast immer verließ ich sie weinend. Ich bin kein Bettler, selbst wenn ich verlange, was Marilena zusteht!
Ein weiteres Problem für mich ist das öffentliche Kinderkrankenhaus. Es ist ein sehr gutes Krankenhaus, aber nicht für seltene Krankheiten. Sie stellten wiederholt falsche Diagnosen, was zu vielen Tagen stationärer Behandlung in privaten Krankenhäusern führte. Dies war sehr teuer für uns, denn wir mussten dafür bezahlen. Die Ärzte im öffentlichen Krankenhaus konnten Marilena nicht behandeln. Sie wollten sie aufgrund ihres unbekannten Syndroms und ihren vielen Gesundheitsproblemen nicht operieren. Sie warfen mich auch einmal aus dem Röntgenraum raus, denn ich kam alleine mit Marilena und sie wollte nicht mithelfen und stillstehen. Keiner des Pflegepersonals wollte mir helfen und sie stillhalten. Sie sagten mir, wegzugehen und mit einer zweiten Person wiederzukommen!
Nach den vielen schlechten Erfahrungen mit dem öffentlichen Krankenhaus und aufgrund deren Unfähigkeit, Marilena zu helfen, möchten wir da nie wieder hingehen. Dies bedeutet, dass wir eine Menge für die privaten Krankenhäuser ausgeben müssen, wenn Marilena stationär behandelt werden soll.
Angst um die Zukunft
Unser Traum ist es, dass Marilena eines Tages selbstständig ist und sich um sich selbst kümmern kann (sich selbst anziehen, selbst waschen etc.). Unsere schlimmste Angst ist, was sie machen wird, wenn ihr Vater und ich nicht mehr leben. Wir möchten das Leben ihrer Geschwister nicht beeinträchtigen. In Griechenland gibt es keine angemessene Einrichtung, wo ein behindertes Kind bzw. ein behinderter Erwachsener lebenslang betreut werden könnte.
Wir glauben, dass es noch andere undiagnostizierte Kinder mit dem Okamoto-Syndrom gibt, und hoffen, dass wir eines Tages mit ihnen in Kontakt treten können, da das Syndrom so selten ist, dass keine Prognose gestellt werden kann und das ist beängstigend.
Louise Taylor, Communications and Development Writer, EURORDIS
Übersetzer: PeggyStrachan