Kabuki-Syndrom – Patienten mit sehr seltenen Krankheiten
MIT EINER SELTENEN KRANKHEIT LEBEN
“Während der Schwangerschaft mit Victoria war ich recht sicher, dass wieder alles so glatt verlaufen würde wie bei meinem ersten Kind. Es gab überhaupt keine Anzeichen, dass wir ein Kind mit einer sehr seltenen Krankheit bekommen würden“, erinnert sich Kathy Beuzard-Edwards. Victoria wurde im August 1999 vor der Zeit geboren. Gleich nach ihrer Geburt kam sie in den Inkubator und wurde dann in Windeseile in das Kinderhospital Necker in Paris auf die Intensivstation gebracht. „Wir wussten nicht, was geschah, und warteten, dass wir das Kind nach Hause nehmen könnten“, sagt Kathy. Aber Victoria musste sechs Monate im Necker-Hospital bleiben … „Vor ihrer Entlassung konfrontierten uns die Ärzte mit einem sehr düsteren Szenario voller Ungewissheiten: Würde Victoria sprechen oder laufen können? Die Ärzte empfahlen ein Spezial-Zentrum, da Victoria andauernde medizinische Betreuung benötigte, u.a. Sonden-Ernährung und Behandlung mit Wachstumshormon “, sagt Kathy. Aber erst im Jahr 2003, als Victoria schon fast vier Jahre alt war, wurde bei ihr das Kabuki-Syndrom diagnostiziert.
Kabuki-Syndrom ist eine genetische Krankheit mit ungewöhnlichen Gesichtsmerkmalen, mit Skelettanomalien und mit leichter bis mäßiger geistiger Behinderung. Anfangs wurde es als Kabuki-Make-Up-Syndrom bezeichnet, weil das Gesicht der Patienten Ähnlichkeit mit einem besonderen Make-Up im traditionellen japanischen Theater hat. Die Diagnose ist deshalb so schwierig, weil es für die Krankheit keinen Labortest gibt und weil das Kabuki-Syndrom in der Öffentlichkeit kaum bekannt ist. Dr David Geneviève vom Necker-Hospital, ein prominenter europäischer Experte für das Kabuki-Syndrom, schätzt, dass in Europa etwa 15.000 Menschen mit Kabuki-Syndrom leben. „Es war für uns eine große Erleichterung, als bei Victoria das Kabuki-Syndrom diagnostiziert wurde. Und ich ging unmittelbar ins Internet, um nach Patientengruppen und Familien zu suchen“, sagt Kathy. Damals entdeckte Kathy die neu gegründete französische Vereinigung ASK, bei der sie jetzt ein aktives Mitglied ist. Die ASK hat z.Zt. 70 Mitglieder, darunter 38 Familien, die direkt vom Kabuki-Syndrom betroffen sind. Eltern und Familien, die mit einer so seltenen Krankheit leben, brauchen jede Unterstützung. „Ich habe mich zwei Jahre lang pausenlos bemüht, das Spezial-Zentrum ausfindig zu machen, wo Victoria jetzt ist, mit Briefen an Entscheidungsträger und sogar einem Brief an den Französischen Präsidenten! Ich bin eine sehr militante Mutter geworden“, sagt Kathy. „Eines der wichtigsten Ziele der ASK ist die Erforschung des Syndroms auf nationaler und europäischer Ebene“, hebt Kathy hervor.
„Die Ärzte des Necker-Hospitals haben bei der französischen Nationalen Forschungs-Agentur (Agence Nationale de la Recherche, ANR) einen Antrag auf finanzielle Förderung eines spezifischen Projektes über das Kabuki-Syndrom gestellt. Ein Projekt wie dieses würde dazu beitragen, dass die Diagnose früher gestellt werden kann. Es ist schon der zweite Antrag, und wir hoffen, dass es diesmal klappt!“ Kathy und andere Eltern haben zu verschiedenen Gelegenheiten über das Kabuki-Syndrom gesprochen, auf Treffen mit Genetikern, in der Öffentlichkeit, im Fernsehen und mit der Presse. „Wir wollen die Nachricht verbreiten“, sagt Kathy.
Die meisten Kinder mit dieser sehr seltenen Krankheit können gehen und sprechen, aber Victoria hat leider eine sehr schwere Form des Syndroms. Einen Teil der Zeit ist sie bei ihrer Mutter, den Rest der Zeit wird sie in einem Spezialzentrum betreut. „Dank intensiver Physio- und Sprachtherapie hat sie gelernt, sich in ihrem Rollstuhl umher zu bewegen, und sie kann jetzt mithilfe von Piktogrammen und Photos kommunizieren.“ Für Kathy als berufstätiger Mutter ist das Schwierigste in dieser Situation der Versuch, gleichzeitig den Bedürfnissen der älteren Tochter und der speziellen Versorgung von Victoria mit ihrer sehr seltenen Krankheit gerecht zu werden. Kathy arbeitet jetzt auf dem Gebiet der seltenen Krankheiten, zu dem sie sich intensiv hingezogen fühlt.
Mit dem Blick auf die Zukunft ist Victorias Mutter zurückhaltend. „Es ist schwer vorauszusagen, was auf uns zukommt. Aber eines ist sicher: Victoria erreicht langsam eine würdige Unabhängigkeit und echte Lebensqualität. Immer schnellere soziale und medizinische Fortschritte, dazu in Frankreich auch der langerwartete 2005 Disability Act, tragen alle dazu bei, dass Kinder wie Victoria immer bessere Chancen erhalten.
Für weitere Informationen:
Französische Kabuki-Syndrom-Assoziation (ASK)
Kanadisches Kabuki-Syndrom-Netzwerk (KSN)
Aussie-Kids mit Kabuki-Syndrom unterstützen (SAKKS)
Dieser Beitrag erschien in der Aprilausgabe 2007 unseres Rundbriefs
Autor: Nathacha Appanah
Übersetzer: Ulrich Langenbeck
Fotos: Victoria und Kathy/Victoria und seine Schwester © Beuzard-Edwards; ASK/Patiente © ASK