CHARGE-Syndrom: Der tägliche Kampf von Jonas
MIT EINER SELTENEN KRANKHEIT LEBEN
Jonas ist das erste Kind von Heiko und Claudia Junghans, lebhaften jungen Eheleuten, die in einem kleinen Ort in der Nähe von Nürnberg leben. Während der Schwangerschaft waren im Ultraschall zwar einige Veränderungen gefunden worden – das Baby katte eine Lippenspalte, und sein Magen war immer leer – aber das normale Ergebnis nach der Fruchtwasserpunktion wiegte die Eltern in Sicherheit. Bald nach der Geburt des Kindes begannen die Probleme der Familie. „Jonas kam 6 Wochen zu früh, im Mai 2004, als ich auf einer Reise zu meinen Schwiegereltern war. Wir waren 300 Kilometer von zu Hause entfernt, und schon einen Tag nach seiner Geburt wurde Jonas zum ersten Mal operiert. Jeden Tag fanden die Ärzte bei Jonas neue Dinge, die nicht stimmten. Nach zwei Monaten brachten wir Jonas in eine andere Klinik in der Nähe unseres Wohnortes. Dort blieb er noch einmal drei Monate“, erinnert sich Claudia Junghans schmerzlich. Trotz vieler Tests und Analysen wurde keine Diagnose gefunden. „Als Jonas 8 Monate alt war, hatten wir unseren ersten Termin bei einem Genetiker, einem sehr netten Arzt. Er schaute nur kurz auf Jonas und erkannte gleich, dass unser Sohn ein CHARGE-Kind ist. Durch einen DNA-Test wurde diese Diagnose bestätigt.“
Das CHARGE-Syndrom (Kolobome der Augen, Herzfehler, Choanalatresie, Retardierung von Wachstum und/oder Entwicklung, Fehlbildungen des Urogenitalsystems, malformierte Ohren, Schwerhörigkeit) ist ein erkennbares Muster von Fehlbildungen, das weltweit bei einem von etwa 9-10.000 Neugeborenen auftritt. Es handelt sich um ein sehr komplexes seltenes Syndrom mit erheblichen medizinischen und körperlichen Problemen, die aber bei jedem Kind unterschiedlich ausgeprägt sind, was die Diagnose sehr erschwert. In den allermeisten Fällen ist dieses oder ein ähnliches Syndrom in den Familien vorher nicht aufgetreten. Kinder mit CHARGE-Syndrom werden oft mit lebensbedrohlichen Fehlbildungen geboren, z.B. komplexen Herzfehlern und Atemproblemen. Sie verbringen viele Monate im Krankenhaus und müssen oft operiert oder auf andere Weise behandelt werden. Schluck- und Atemprobleme erschweren das Leben, auch noch nach der Entlassung aus dem Krankenhaus. Die meisten Kinder sind schwerhörig, haben eine verminderte Sehkraft, und ihr Gleichgewichtssinn ist gestört. Dadurch sind sie in ihrer Entwicklung verlangsamt und in der Kommunikation eingeschränkt. Da mit dem bei Jonas durchgeführten Gentest (genannt CHD7, nach dem Gen, das CHARGE verursacht) nicht in allen Fällen von CHARGE eine DNA-Veränderung gefunden wird, bleibt CHARGE primär eine Diagnose, die anhand der klinischen Symptome und körperlichen Veränderungen gestellt wird.
Heiko und Claudia machten, was alle Eltern machen, wenn sie eine solche Nachricht erhalten: Sie suchten nach Informationen. Aber sie waren mit einer Sprachbarriere konfrontiert, weil die wenigen Informationen über CHARGE überwiegend auf englisch geschrieben sind, z.B. bei der US-amerikanischen CHARGE Syndrome Foundation. „Ein Jahr nach Jonas` Geburt, im Jahr 2005, gründete ich ein deutschsprachiges Internet-Forum, in das sich viele Familien einschrieben. Bald kamen wir aber zu der Einsicht, dass es sinnvoller sei, eine Patienten-Vereinigung zu gründen, was dann auch 2006 geschah. Im Jahr 2007 hatten wir unser erstes Treffen, und etwa 80 Personen kamen. Beim Treffen im vergangenen Jahr hatten wir schon etwa 200 Teilnehmer”, sagt Claudia. Ihr Verein Charge Syndom e.V. unterstützt die CHARGE-Patienten in den deutschsprachigen Ländern.
Das Leben mit Jonas ist eine große Herausforderung. Atmen, Essen und Schlucken sind täglich ein neuer Kampf. Er hat auch praktisch keine Geschmacksempfindung. An fünf Wochentagen geht er für einige Stunden in den Kindergarten, wo ihm eine Betreuerin zur Seite steht. Zu Hause hat er eine Krankenschwester, die ihn wegen seiner Atemprobleme während seines Schlafes bewacht. Er trägt eine Brille und ein Hörgerät, erhält für seine verschiedenen Symptome die unterschiedlichsten Behandlungen, ist mal beim Augenarzt und dann wieder beim Hals-Nasen-Ohrenarzt, und so immer fort. Aber dennoch, die nicht endende Unterstützung und Liebe seiner Eltern haben Jonas geholfen, viele Hürden zu überwinden. Der fünf Jahre alte Junge liebt Puzzles und Bücher und hört gern Musik. Er kennt alle Farben, zählt von 1 bis 10 und kennt alle Buchstaben in seinem Namen. Er hat sogar eine Lieblingssendung im Fernsehen! „Natürlich hat sich unser Leben völlig verändert. Ich arbeite nicht mehr, und wir können viele ‚normale‘ Dinge, die für andere Familien selbstverständlich sind, nicht tun. Ich habe aber das Gefühl, dass Jonas mich selbstbewusster und reifer gemacht hat. Und im Vergleich zu früher bin ich eindeutig umgänglicher geworden“, gesteht Claudia. Im Februar 2009 bekam sie ihr zweites Kind, die Tochter Julia. „Wir haben viele Wünsche, besonders aber hoffen wir, dass wir für Jonas eine Schule finden, die ihn akzeptiert. Und dass er mit zunehmendem Alter unabhängiger wird. Und dass seine kleine Schwester ihn unterstützt.“
Für weitere Informationen:
Besuchen Sie Jonas‘ Homepage: www.jonas-junghans.blogspot.com
Dieser Beitrag erschien in der Juniausgabe 2009 unseres Rundbriefs.
Autor: Nathacha Appanah
Übersetzer: Ulrich Langenbeck
Fotos: © Heiko und Claudia Junghans